10. November 2004 Gedenkveranstaltung
Bereits vor den Pogromen des 9./11. November 1938 verabschiedeten die Nationalsozialisten Gesetze und inszenierte Aufstände, die bewusst auf das hinstrebte, was kurze Zeit später „Endlösung der Judenfrage“ genannt wurde.
Der Brand des Reichstags am 27.07.33 wurde dazu benutzt, die wichtigsten Grundrechte in der Weimarer Verfassung aufzuheben. Ab dem 01. April wurden jüdische Geschäfte boykottiert. Am 7. April 1933 tritt „Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums„ in Kraft, das einen Arierparagraphen enthielt. Mit der Bücherverbrennung vom 10 Mai 1935 wurden die Werke demokratischer Autoren dem Feuer übereignet. Seit dem 17. August 1935 gab es die Vornamensverordnung für Juden, die Zusätze wie „Israel“ und „Sara“ vorschreiben. Am 15. September 1935 wurden die Nürnberger Gesetze zum Schutz des deutschen Blutes und der Ehre erlassen.
Der Terror gegen die Juden, die Zerstörung ihrer Synagogen in der Pogrom-Nacht am 9. Nov. 1938 sollte die Juden isolieren, demütigen, einschüchtern und zur Auswanderung zwingen – unter Zurücklassung ihres Besitzes. Darüber hinaus diente das brutale Handeln an den Juden der Einschüchterung der gesamten Bevölkerung. Das Ausbleiben eines ernsthaften Protestes zeigte, wie mächtig die Diktatur zu diesem Zeitpunkt bereits war.
Was im November 1938 geschah , das geschah öffentlich, vor aller Augen. Niemand konnte sagen, er/sie habe nichts gewusst. Die Nazi-Schergen konnten mit Zustimmung, mit gleichgültigem Wegsehen oder verängstigtem Stillschweigen bei der Mehrheit unseres Volkes rechnen.
1938 An einem Wintermorgen bin ich sehr früh erwacht. Es fuhren Männer im Braunhemd ins Dorf. Die haben den Nachbarn fortgebracht.
Sie nannten ihn Judenschwein und jagten ihn aus dem Haus. Ich stand mit Vater am Fenster. Wir starrten hinaus.
Der Nachbar lief über die Straße ohne Rock und ohne Schuh. Ich schrei den Vater an: Sieh hin, sie schlagen ihn. Vater zog die Gardine zu. W.Lindemann
Zwischen der Machtübernahme 1933 und dem Angriff auf Polen am 1.September hatte die NSDAP die Opposition und Andersdenkende ausgeschaltet., Widerständler saßen im KZ, Homosexuelle, Jehovas Zeugen, Behinderte und Juden wurden entrechtet, verfolgt ‚eingesperrt und ermordet.
Zum Beispiel die Familie Landau. Cecilie Landau aus Hamburg war 16 Jahre; als die Nazis ihren Vater in Dachau ermordeten. Noch im gleichen Jahr wurde sie, ihre Mutter und ihre Schwester nach Lodz deportiert. Dort ist ihre Mutter verhungert und ihre Schwester ermordet. Cecilie wurde nach Ausschwitz transportiert, von dort aus nach Neuengamme, also wieder nach Hamburg zurück, um Sklavenarbeit zu leisten. In Bergen-Belsen wurde sie schließlich von den Briten befreit und unterstützte deren Suche nach untergetauchten Nazis. Von diesen wiurde sie wieder bedroht und verließ daher Ende 1945 Deutschland. Heute lebt sie als Lucille Eichengreen in Kalifornien.
KZ NEUENGAMME
Das Hamburger KZ Neuengamme wurde 1938 eingerichtet und gehörte zu den zentralen Lagern im norddeutschen Raum. Hier wurde „Vernichtung durch Arbeit“ betrieben. Der Tod der Häftlingen unter vorheriger Ausnutzung ihrer Arbeitskraft war beabsichtigt. Außer der Arbeit im Ziegelwerk auf dem Gelände selbst gab es so genannte Außenkommandos, die in der ganzen Stadt eingesetzt wurden, z.B. in der Hafenwirtschaft, beim Straßenbau, später bei der Trümmerbeseitigung und beim Bombenräumen. Auch Finkenwerder war Einsatzgebiet für diese Kommandos und die KZ-Häftlinge deshalb im Ortsbild präsent, lange vor der Errichtung des Außenlagers Deutsche Werft im Oktober 1944.
Rudolf W. Behm, Jahrgang 1930, hat als Heranwachsender diese Zeit miterlebt und z.B. den Zug der KZ-Häftlinge beobachtet, wenn sie auf dem Weg zur Werft am Norderdeich entlang getrieben wurden. Er erinnert sich an die brutale Behandlung der KZ-Häftlinge auf dem Finkenwerder Dampfer und hat in der Ostfrieslandstraße gesehen, wie KZ-Häftlinge einen Blindgänger beseitigten. In seinem Elternhaus verkehrte der niederländische Fremdarbeiter Willem Blomp, der mit seinem Vater in der Malergruppe auf der Werft arbeitete. Seine Mutter besorgte Willem die Wäsche und er half bei der Gartenarbeit und verbrachte seine Freizeit mit Behms Familie. Der Kontakt zwischen seinem Vater und Willem bestand auch noch nach dem Krieg. Ein weiterer Fremdarbeiter war auf einer Lehrstelle in der „von Cölln Werft“ beschäftigt, ein Belgier namens Louis. Mit ihm hatte er ein kleines Scharmützel, weil der ihn „Hitlerjunge“ nannte. An andere Ausländer, wie russische Kriegsgefangene, kann sich Rudolf Behm ebenfalls erinnern, weil ihre Baracke Nordmeerstraße/Nessdeich das Ziel von Jugendstreichen war. Die russischen Kriegsgefangenen wurden für die Bedienung der Nebeltonnen bei den Luftangriffen eingesetzt.
Die KZ-Häftlinge im Außenlager Deutsche Werft
Mit dem Rückzug im Osten stockten die Transporte von Zwangsarbeitern aus diesen Gebieten. Nun sollten Außenlager in der Rüstung und auf Werften den Arbeitskräftemangel ausgleichen. Hierher kamen auch die Häftlinge aus den großen Vernichtungslagern im Osten, die auf der Flucht vor den Russen geräumt wurden. Das Außenlager Deutsche Werft bestand seit Oktober 1944. Sehr junge und sehr kräftige Menschen haben die Monate in diesem Außenlager wie durch ein Wunder lebend überstanden, auch wenn diese Erfahrung ihr ganzes weiteres Leben überschattete. Trotzdem finden sie die Kraft uns zu besuchen und ihre Leidensgeschichte zu erzählen. Herr Ernst Nielsen aus Dänemark war mit weiteren ehemaligen Neuengamme-Häftlingen erst im September 2004 während einer Pilgrimsreise am Mahnmal, um seiner Kameraden zu gedenken, die das KZ nicht überlebten.
Ernst Nielsen wurde als 20jähriger von der Gestapo als Mitglied einer Widerstandsgruppe verhaftet und Mitte Januar 1945 ins KZ Neuengamme verfrachtet. Wenig später wurde er ins Außenlager Deutsche Werft transportiert. 3 Monate später erwirkten die Skandinavier die Freilassung ihrer Häftlinge. Für den jungen Ernst Nielsen bedeutete das die Rettung aus akuter Lebensgefahr. Während der 3 1/2 Monate seiner KZ-Haft verlor Ernst Nielsen 40kg Gewicht.
Iwan Iwanowitch Chitajlow geriet bereits 1943 als 16jähriger in die Fänge des NS-Systems und kam nach einer Odyssee durch verschiedene Lager Anfang 1945 ins KZ-Außenlager Deutsche Werft. Nach der Auflösung im April kam er er in das berüchtigte Lager Sandborstel bei Bremervörde. Die Verhältnisse in diesem Lager waren unbeschreiblich. Am 29. April befreiten schottische Truppen das Lager. Der völlig entkräftete 18jährige Iwan Iwanowitsch überlebte das Inferno.
Erinnern aus Verantwortung für die Vergangenheit und für die Zukunft
Der Finkenwerder Arbeitskreis Außenlager Deutsche Werft des KZ Neuengamme ehrt seit 1998 in einer Gedenkveranstaltung anläßlich des Jahrestages der Judenpogrome am 9.11.1938 die Opfer der Nazi-Diktatur mit einer Kranzniederlegung. Daran beteiligen sich mit einer Spende für den Kranz die Evangelische Kirchengemeinde St. Nikolai, die Karmel-Zelle Finkenwerder sowie die Finkenwerder SPD, CDU, GAL und die Linken.
Die diesjährige Veranstaltung zum Gedenken findet am 10. November 2004 statt. Sie beginnt mit einer Kranzniederlegung am Mahnmal Ecke Rüschweg/Neßpriel um 18.00 Uhr
Um 19.00 Uhr folgt im Ortsamt Finkenwerder, Butendeichsweg 2, gr. Sitzungssaal, 2.Stock: Erinnerung eines Zeitzeugen über seine Jugendzeit in Finkenwerder während des Dritten Reiches Berichte der Überlebenden aus Briefen und Dokumenten. V.i.S.d.P.: Finkenwerder Arbeitskreis Außenlager Deutsche Werft des KZ-Neuengamme, c/o H. Kaufner, Carsten-Fock-Weg 12, 21129 Hamburg